Bibi Fatima und die Söhne des Königs
Bibi Fatima und die Söhne des Königs Sultan bin Muhammad al-Qasimi Übersetzt von Stefanie Kuballa-Cottone Georg Olms Verlag Hildesheim · Zürich · New York 2019
Coverillustration: Carlos Marinas Bibi Fatima in einem malaiischen »Baju Kurung« auf dem Balkon des königlichen Palastes auf der Insel Hormuz. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar Die arabische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Bibi Fatima wa Abna’al-Malik« bei Al Qasimi Publications. Copyright © 2018 by Sultan bin Mohammed al-Qasimi Die deutsche Übersetzung folgt der französischen Ausgabe » Bibi Fatima et les fils du roi «. Aus dem Englischen ins Französische übersetzt von Dr. Cécile Fouache. Redaktion: Dr. Khaled Besbes. Al Qasimi Publications, Sharjah 2019. Copyright © 2018 by Sultan bin Mohammed al-Qasimi Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2019 www.olms.de Printed in Germany Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Übersetzt von Stefanie Kuballa-Cottone Redaktion: Beate Bücheleres-Rieppel Satz: Satzstudio Winkens, Wegberg Umschlaggestaltung: Anna Braungart Herstellung: Hubert & Co., Göttingen ISBN 978-3-487-08628-6
Inhalt Vorwort 7 1. Hormuz 9 2. König Ferug Shah 19 3. Prinz Feroz Shah 29 4. Bibi Fatima 43 5. Prinz Turan Shah 59 6. Prinz Muhammad Shah 73 Personenregister 95 Quellen 99
Vorwort Dies ist die Geschichte einer ehrgeizigen Frau, die sich an die schwindende Macht der Könige von Hormuz klammert. Neben einer detaillierten Schilderung des Gesellschaftslebens in Hormuz unter der Herrschaft der Portugiesen vermittelt der Roman Einblicke in die militärische, politische und wirtschaftliche Lage im späten 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. Der Autor 7
1 Hormuz
Am Eingang zum arabischen Golf, zwischen Persien und der arabischen Halbinsel, erstreckt sich ein ungefähr 70 km langes Gebiet, in dem mehrere kleine Inseln liegen. Die wichtigste und bei Weitem größte dieser Inseln ist Hormuz, die früher unter dem Namen Dscharun (Ǧerun/Jarun) bekannt war. Hormuz befindet sich auf 27° nördlicher Breite, etwa 16 km vom persischen Festland und 55 km von der arabischen Küste entfernt. Die beinahe kreisrunde, nur 42 km² große Insel ist extrem unfruchtbar, hier sprießt nichts Grünes, jedenfalls so gut wie nie. Im 16. Jahrhundert waren auf der Insel allein die Salz- und Schwefelgruben von wirtschaftlicher Relevanz. Zwar befanden sich drei Quellen auf der Insel, die das ganze Jahr hindurch Wasser führten, aber eine Trinkwasserquelle suchte man auf der Insel vergebens. Trotz dieser unwirtlichen Lebensbedingungen waren Lebensmittel aller Art im Überfluss vorhanden: Wildbret, frisches Obst und Trockenfrüchte, wie man sie auf der ganzen Welt fand, und außerdem ein paar Sorten, die sich von den in Europa erhältli11
chen unterschieden. Sie wurden in großen Mengen aus Persien eingeführt. Die auf der Insel Hormuz gelegene gleichnamige Stadt profitierte von der Nähe zweier bedeutender Häfen, einem östlichen und einem westlichen. Der eine war ein Handelshafen, der andere militärischen Zwecken vorbehalten. Nördlich der Stadt erhob sich auf einer Landspitze, die ins Meer ragt, die Festung (die bis heute besichtigt werden kann). Sie war von zwei Seiten zugänglich: Das eine Tor war der Stadt zugewandt, das andere dem Meer. So war es möglich, die Festung sowohl vom Land her als auch vom Meer aus zu betreten bzw. sie auch in beide Richtungen zu verlassen. Außer dem Militärhafen gab es auch eine große Schießpulverfabrik, aus der die portugiesische Armee ihren Bedarf für den gesamten Indischen Ozean deckte. Die Stadt Hormuz war damals der bekannteste Seehafen der Welt. Ihre Bedeutung als Handelszentrum übertraf alle Märkte des Orients und des Okzidents. Zudem war der Hafen ein gefragter Umschlagplatz für Pferde aller Art, die von Persien und Arabien nach Indien verschifft wurden. Die Stadt versorgte die portugiesischen und muslimischen Könige Indiens mit allem, was sie benötigten. Von entsprechend großer Bedeutung war die Festung von Hormuz für ihre Besitzer, die portugiesischen Könige. Ihr Verlust wäre für die Portugiesen mit riesigen Nachteilen verbunden gewesen und hätte unermesslichen Schaden angerichtet. In der Stadt lebten neben ungefähr 200 verheirateten Portugiesen viele Menschen aus der näheren Umgebung, insgesamt etwa 7000 Personen. Nicht mitgezählt sind hierbei die portugie12 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
sischen Händler, die kamen und gingen, sowie die portugiesischen Soldaten, die vor Ort stationiert waren. Der Anteil an Muslimen und Indern an der Bevölkerung belief sich auf ca. 40.000 Personen; hinzu kamen Perser, Türken, Mongolen und alle möglichen anderen Händler, die ihre Waren anlieferten und dann wieder abreisten. Dem König von Portugal gehörte auch das Zollamt von Hormuz. Die Herrscher von Hormuz hatten es Portugal kraft zweier Dekrete kostenlos überlassen. Davor war das Zollamt verpachtet worden. Nachdem die Könige von Hormuz jedoch mehrere Niederlagen gegen die Portugiesen erlitten hatten, insbesondere seit der Niederschlagung ihres Aufstands durch Afonso de Albuquerque 1514, nahmen die Portugiesen es in Besitz. Die Herrscher von Hormuz waren den Königen von Portugal nicht nur untergeordnet und mussten eine portugiesische Festung auf ihrer Insel dulden, sondern sie durften auch keine Waffen besitzen. Infolgedessen war es ihnen kaum möglich, die Händler, die ihre Waren auf die Insel brachten und Zölle entrichteten, aktiv zu schützen. Der Hauptgrund für die Erhebung von Zöllen erklärt sich möglicherweise aus der Tatsache, dass eine starke Flotte nötig war, um der Piraterie auf See und an Land Einhalt zu gebieten und das Meer für die Handelsaktivitäten offen zu halten. Nach der Einnahme von Hormuz durch die Könige von Portugal standen ihnen die Zolleinnahmen »von Rechts wegen« zu, da sie verpflichtet waren, für den Schutz der Handelsreisenden, ihrer Schiffe und Waren auf See zu sorgen. Diese Last ruhte somit nicht länger auf den Schultern der Könige von Hormuz, die sich gegen die Portugiesen erhoben hatten, aber dann militä13 Hormuz
risch gezwungen wurden, den Treueeid zu leisten und Portugal erneut zu gehorchen. Der Hafen von Hormuz war der größte im ganzen Orient. Venezianer, Griechen, Armenier und Juden bevölkerten die Gassen der Stadt. Fast jeder Wochentag war für irgendeine der verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein Feiertag: für die Christen war es der Sonntag, der Dienstag war für die Hindus ein heiliger Tag, der Freitag für die Muslime, und die Juden feierten ihren Sabbat am Samstag. Die Bevölkerung von Hormuz setzte sich also aus Menschen unterschiedlichster Nationen und Religionen zusammen. Hätten Sie damals gelebt und einen Freund dort besucht, wäre Ihnen aufgefallen, dass er mit Christen, Juden und Hindus in einem Haus wohnte und jeder seiner eigenen Religion ungehindert nachgehen konnte. Trotz der religiösen Unterschiede pflegten sie ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis und besuchten einander ohne gesellschaftliche Einschränkungen. Auf der Insel gab es Kirchen für die Christen, Moscheen für die Muslime, darunter die Große Moschee mit ihren hohen Minaretten, Synagogen für die Juden und hinduistische Tempel. Westlich von Hormuz lag Persien, östlich davon Arabien. Diese beiden Länder versorgten Hormuz mit allem, was die Insel benötigte: Weizen, Trinkwasser, Holz und alle möglichen Früchte, alles in reichen Mengen. Über 400 Schiffe lagen jederzeit im Hafen bereit und boten sich als sichere Transportmittel an. Diese Schiffe und Boote trugen verschiedene Bezeichnungen entsprechend ihrer Größe, ihrer Bauweise, ihrer Herkunft usw. 14 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
In der Festung von Hormuz standen 70 stattliche Kanonen, die allesamt aus Bronze gegossen waren. Die Festung war von tiefen Wassergräben umgeben, die es Feinden erschwerten, die Festungsanlage einzunehmen. Mehr als 500 Soldaten wachten Tag und Nacht über sie. Im Hafen trafen regelmäßig Schiffe aus ganz Indien ein, die vielfältige Waren geladen hatten, darunter auch Arzneien und Stoffe. Von Hormuz aus wurden die Waren nach Persien, Arabien, in die Türkei und sogar nach Europa verschifft. Alles war hier im Überfluss zu finden: Fleisch, Fisch, Brot, haltbare Lebensmittel wie Konfitüre, Trockenfrüchte usw. Große Mengen davon wurden nach Indien geschickt. Hormuz war der bei Weitem größte und bedeutendste Warenumschlagplatz ganz Portugiesisch-Indiens. Jedes Jahr wur- den in großer Zahl Pferde aus Persien und Arabien nach Indien transportiert. Dabei handelte es sich um herrliche Vollblutaraber, die von den Muslimen mit besonderer Sorgfalt gezüchtet und in ganz Indien von Muslimen, Hindus und Christen überaus geschätzt wurden. Die edlen Tiere stammten größtenteils aus Muscat und Bahrain. Die arabischen Vollblüter sind berühmt für ihre Schnelligkeit und für die Reinheit der Zucht. Seide kam in großen Mengen aus Persien, zusammen mit Teppichen aller Art, Arzneipflanzen, diversen Handelswaren und verschiedenen Geldsorten. Die Perser kauften im Gegenzug diverse Stoffe und Textilien, Porzellan, Weißblech, Zucker, Indigo und Arznei in Hormuz ein. Aus Basra kam Geld in Form von Münzen aus Silber und Legierungen, Webwaren aus Kamelhaar und andere Arten von gewebten Stoffen, Safran, Papier und Leinwand. 15 Hormuz
Ebenfalls über Basra erfolgte die Einfuhr von Glaswaren durch die Venezianer, außerdem kleine Schmuckstücke und Juwelen und viele weitere Waren, auf die der König Zoll erheben konnte. Hormuz exportierte außer nach Basra, Syrien und Mesopotamien auch nach Armenien und in die Türkei, zum Beispiel Knoblauch, Königszepter, Zimt, Kardamom, Webwaren, Porzellan und Indigo, alles in großen Mengen. So kam es, dass alle Waren, die aus verschiedenen Ländern nach Indien transportiert wurden und von dort aus ihren Weg in die ganze Welt fanden, notwendigerweise Hormuz passieren mussten. Sogar schwarzer Pfeffer1, der mehrfach mit einem Handelsverbot belegt wurde, musste die Straße von Hormuz durchqueren, um auf den arabischen Märkten verkauft werden zu können. Das galt auch für zahlreiche andere Produkte, die in die verschiedenen Teile der Welt verschifft wurden. Trotz der Tatsache, dass die Insel schroff und unfruchtbar war, verfügte sie über Waren und Produkte in Hülle und Fülle und wurde daher als Mittelpunkt der Welt bezeichnet. Sowohl die Inselbewohner als auch ihre persischen Nachbarn sagten: »Wäre die Welt ein Ring, wäre Hormuz sein Juwel.« Neben den zahl- und umfangreichen Handelsaktivitäten, die in Hormuz stattfanden, befanden sich auf der Insel auch bedeutende Lagerbestände von Arzneimitteln, Naturkosmetik usw. Die besten Arzneikräuter der Welt kamen aus Persien, zudem zahlreiche Parfümsorten und die besten Gegengifte der Welt, die den dreifachen Preis von dem erzielten, was aus Málaga kam. 16 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs 1 Schwarzer Pfeffer wurde in Europa zur Fleischkonservierung verwendet. Früher hatte Portugal das Monopol auf den Pfefferhandel.
Im Gebiet des Königreichs Hormuz waren folgende Währungen in Umlauf: 1. der Lari, eine Silbermünze aus dem Königreich Lar, die wie miteinander verflochtene Eisendrähte aussah und das Siegel des Königreichs Lar trug; 2. der Real (Plural: Réis), die kleinste portugiesische Kupfermünze; 3. der Cruzado, eine portugiesische Goldmünze, die 400 Réis wert war; 4. der Pardo, eine ostindische Goldmünze. Jeder, der Hormuz besuchte, war verzaubert von der Insel und ihren Bewohnern, diesem Ort, wo das Salz aus den Bergen und das Holz aus dem Meer kam und wo die Ziegelsteine auf dem Wasser schwammen. Diese Beschreibung erklärt sich daraus, dass in den Bergen von Hormuz Salz abgebaut wurde, während das Holz von Mangrovenbäumen stammte, die im seichten, brackigen Wasser wachsen. Was die Ziegelsteine angeht, die für den Häuserbau verwendet wurden, so stammten diese von der Insel Qishim. Dort wurden Steinkorallen vom Meeresboden heraufgeholt und getrocknet. Dadurch wurde der poröse Korallenkalk so leicht, dass die Steine auf dem Wasser schwammen. 17 Hormuz
2 König Ferug Shah
Wir schreiben das Jahr 1588. In der wunderschönen Stadt Hormuz tummeln sich Menschen verschiedenster Herkunft in den von mehrstöckigen Gebäuden eingerahmten schmalen Gassen und tragen ihre teils farbenprächtigen Nationaltrachten zur Schau. Jetzt, zu Jahresbeginn, ist es noch kühl im Vergleich zur absolut unerträglichen Sommerhitze, die die Bewohner von Mai bis September heimsucht. Vor allem die muslimischen Frauen leiden unter diesen klimatischen Bedingungen, da sie ihr Gesicht mit einem niqab verhüllen, einem Schleier, der Gesicht, Kopf und Hals bedeckt und bis zur Brust hinunter reicht. Machen wir doch einen Ausflug zum Königspalast! Auf dem Weg dorthin kommen wir an Schulen vorbei und können die Religionslehrer und ihre Schüler beobachten. Gegenüber dem Palast befindet sich das Haus des Wesirs (wazir). Vor dem Palast stehen Wachen. Sie sind nur spärlich bewaffnet, denn wie bereits erwähnt haben nur die Portugiesen das Recht, Gewehre zu besitzen. Wir betreten den Palast durch das imposante, reich verzierte Tor und gelangen in einen weiträumi21
gen Innenhof, wo sich die majlis des Königs befindet, ein öffentlicher Versammlungsplatz. Dort sehen wir den König, wie er auf seinem imposanten Thron sitzt. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken stehen Sessel für die örtlichen Würdenträger und für die aus Portugal und Hormuz stammenden Verwalter. Der König trägt den Namen Ferug Shah bin Muhammad Shah (genannt Abunasser Shah) bin Turan Shah bin Salgor Shah. Salgor Shah hatte bei der örtlichen Bevölkerung einen schlechten Ruf, weil er sich den Forderungen der Portugiesen gebeugt hatte. Sie hatten von ihm verlangt, alle Häuser seiner Anhänger und Getreuen in unmittelbarer Nähe der portugiesischen Festung zu zerstören, und auch einige von Salgor Shahs eigenen prächtigen Palästen in der Umgebung mussten weichen. So wollten die Portugiesen ihre Festung vor etwaigen Übergriffen oder sonstigen Beeinträchtigungen durch die Nähe von ihnen eventuell feindlich gesonnenen Einwohnern schützen. Turan Shah folgte seinem Vater Salgor Shah auf den Thron, starb aber schon nach kurzer Amtszeit. Nach seinem Tod 1536 entbrannte ein heftiger Streit über seine Nachfolge. Turan Shah hatte zwei Söhne: den älteren Muhammad Shah (Abunasser Shah) und Shaikh Jawid. Muhammad Shah regierte ein Jahr, dann starb er. Sein Bruder Shaikh Jawid war als sein Nachfolger vorgesehen. Doch Ferug Shah, Muhammad Shahs Sohn, gelang es, die Macht an sich zu reißen. Er schickte seinen Onkel in die Verbannung, doch Shaikh Jawid brachte den Fall vor die portugiesischen Machthaber. Dort legte er dar, dass er der rechtmäßige Thronfolger sei, und forderte neben der Herrscherposition auch das Erbe ein, dass sein Vater Turan Shah ihm hinterlassen hatte. Wutentbrannt drohte Ferug Shah, seinen Onkel zu töten, 22 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
und weigerte sich, ihm sein Erbe zukommen zu lassen. Er behauptete, die Geldbeträge, die Shaikh Jawid verlange, hätten gar nicht seinem Vater gehört, sondern seien Staatseigentum gewesen. Shaikh Jawid musste ein elendes Leben in der Verbannung in Goa fristen, wo auch der portugiesische Vizekönig residierte. Ende November 1587 starb Shaikh Jawid. Sein Sohn hielt die Forderungen seines Vaters gegen den König von Hormuz aufrecht und brachte sie in Goa vor das Berufungsgericht. Ferug Shah saß in seiner majlis und fragte sich voller Sorge, wie das Gericht wohl entscheiden würde. Zu seiner Rechten hatte sein Wesir Rais Nuruddin Platz genommen und neben ihm dessen Bruder und Ratgeber Sharafuddin, der in seiner Abwesenheit üblicherweise als sein Stellvertreter fungierte. Nuruddin hatte dem König seine Schwester Latifa zur Frau gegeben, der Heirat aber nur unter einer Bedingung zugestimmt: Sollte Latifa ihrem Gemahl einen Sohn schenken, so solle dieser dereinst seinem Vater auf den Thron von Hormuz nachfolgen. Latifa gebar Ferug Shah zwei Söhne: Prinz Muhammad Shah bin Abunasser Shah war der ältere, sein jüngerer Bruder hörte auf den Namen Turan Shah. Ferug Shah hatte jedoch noch einen weiteren Sohn, Feroz, der aus seiner Beziehung zu einer Konkubine hervorgegangen war. Feroz’ Status war nicht klar geregelt – es gab Zeiten, in denen Ferug Shah ihn als seinen Sohn anerkannte, aber auch andere, in denen er dies nicht tat. Der Wesir Rais Nuruddin war mit Shah Zinan verheiratet, der Witwe des Richters von Bahrein, Rais Murad Daylamitia (»vom Volk der Dailamiten«). Dieser war ein direkter Nachfahre der Könige von Lar gewesen. Aus ihrer früheren Ehe hatte Shah 23 König Ferug Shah
Zinan eine Tochter namens Halima, die 1588 15 Jahre alt war, und einen nachgeborenen Sohn, Murad bin Murad; er war 14 Jahre alt und wurde Daylamitia gerufen. Mit Rais Nuruddin hatte Shah Zinan eine entzückende Tochter, die zum damaligen Zeitpunkt vier Jahre alt war. Sie hieß Fatima, aber ihre Eltern nannten sie Habiba Nuruddin; andere riefen sie Habiba Fatima, während sie für Außenstehende Bibi Fatima hieß – und unter diesem letztgenannten Namen wurde sie bekannt. Zur Linken von König Ferug Shah saß der eigentliche Herrscher von Hormuz, der portugiesische Kommandant Matias de Albuquerque. Er war stets bemüht, mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, um sie davon zu überzeugen, ihre Religion abzulegen und zum Christentum zu konvertieren. Er lud sie zu sich nach Hause ein und bewirtete sie großzügig. Sein Tagewerk bestand nicht darin, die Angelegenheiten der Insel zu regeln, sondern aus Muslimen Christen zu machen. Bei Shaikh Jawids Sohn erreichte er sein Ziel: Nach dem Tod seines Vaters 1587 konvertierte dieser in Goa zum Christentum und nannte sich fortan Dom Jerónimo Joede. In Hormuz versuchte Matias de Albuquerque auch die fünfzehnjährige Halima und ihren jüngeren Bruder Murad Daylamitia zum Übertritt zum Christentum zu bewegen. Dem jungen Murad versprach er sogar, dass er ihn, wenn er konvertiere, zum Wesir von Hormuz ernennen werde und er dann auch die Funktion des Schatzmeisters (findag) innehätte. Halima und Murad bekundeten Interesse an Matias de Albuquerques Angebot und begannen, sich im christlichen Glauben unterrichten zu lassen. 24 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Einige Tage zuvor hatte Matias de Albuquerque mit dem amtierenden Wesir von Hormuz, Rais Nuruddin, gesprochen und für den zum Christentum übergetretenen Sohn von Shaikh Jawid um die Hand Halimas angehalten. Zum damaligen Zeitpunkt wusste noch niemand, dass er konvertiert war. Rais Nuruddin jedoch lehnte höflich ab, mit der Begründung, diese Verbindung würde dem König von Hormuz missfallen. Ein junger Mann namens Niamatullah betrat die majlis von König Ferug. Er war schlecht gekleidet, trug einen dichten Bart, blickte finster drein und wirkte ein wenig unheimlich. Es handelte sich um den Neffen des Königs. Der erklärte Erzfeind Matias de Albuquerques besaß eine Koranschule und war der Anführer einer nationalen Bewegung, die sich den missionarischen Aktivitäten Matias de Albuquerques entgegenstellte. Niamatullah ging auf den König zu, küsste ihm die Hand und nahm dann neben Rais Nuruddin Platz. Sein Atem ging schwer, und er wirkte, als wolle ihm das Herz aus der Brust springen. Man sah ihm an, dass er etwas zu sagen hatte und voller Ungeduld auf den richtigen Augenblick wartete. Kurz bevor er die königliche majlis betreten hatte, war er nämlich vor Rais Nuruddins Haus um ein Haar in Halima hineingelaufen. Sie versuchte, ihre kleine Schwester Fatima einzufangen, und hatte ihren niqab gelüftet, sodass ihr hübsches Gesicht zu sehen war. Nach dem Beinahe-Zusammenstoß mit Niamatullah war Halima einen Schritt zurückgetreten, blickte ihn aber direkt an, in der Erwartung, er werde den Weg frei machen, damit sie ihrer Schwester nachlaufen könnte. Doch als Niamatullah sich nicht vom Fleck bewegte, ging sie ins Haus und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. 25 König Ferug Shah
In der majlis des Königs sprach Niamatullah mit gesenkter Stimme zu Nuruddin. Daraufhin wollte der König von Nuruddin wissen, worum es in ihrer geflüsterten Unterhaltung gegangen war. »Eure Majestät, Euer Neffe, Prinz Niamatullah, hielt soeben um die Hand meiner Tochter Halima an«, antwortete Nuruddin. »So sei es, mit Allahs Segen«, sprach der König. Als Matias de Albuquerque dies hörte, sprang er wutentbrannt von seinem Sessel auf, rief mehrmals nacheinander »Das kann nicht sein, das kann nichts sein!«, und stürmte aus dem Hof. König Ferug Shah, sein Wesir und alle Anwesenden in der majlis waren bestürzt über ein derart ungebührliches Verhalten. Der König entschied daraufhin, dass die Hochzeit sofort stattfinden solle. Man ließ den Imam der Großen Moschee kommen und führte die Hochzeitszeremonie durch. Rais Nuruddin trat als Vertreter Halimas auf und gab sie Niamatullah zur Frau. So wurde Halima durch den König, den Wesir Nuruddin (ihren Stiefvater) und ihre Verwandten zur Heirat gezwungen. Sie fügte sich, machte ihrem Gatten Niamatullah jedoch das Leben schwer, und die Ehe wurde nie vollzogen. Eines Tages teilte Halima ihrem Mann Niamatullah mit, dass sie gerne ihre Mutter besuchen würde. Bei ihrer Mutter angekommen verriet sie ihr, dass sie keinesfalls mit Niamatullah zusammenleben und ihn niemals wiedersehen wolle. Also blieb sie fortan bei ihrer Mutter und war weder richtig verheiratet noch geschieden. Dann lernte sie den Sohn eines Portugiesen kennen. Dieser war in Hormuz geboren und brachte ihr bei, Portugiesisch zu lesen und zu schreiben. Sie vertraute ihm an, dass sie es nicht ertrage, mit Niamatullah verheiratet zu sein. Sie bat ihn, 26 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
den christlichen Mönchen von ihrem Unglück zu berichten und ihnen zu sagen, dass sie zum Christentum konvertieren wolle, um die Auflösung der Ehe mit Niamatullah herbeiführen zu können. Der Portugiese versprach, ihr zu helfen, und nahm Kontakt zu den Verantwortlichen des Klosters von Hormuz auf. Die Neuigkeit wurde Matias de Albuquerque zugetragen. Dieser glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können, und eilte augenblicklich an den königlichen Hof, um mit dem König von Hormuz zu sprechen. Er klärte den König über Halimas Situation auf und teilte ihm außerdem mit, dass auch der König von Portugal – der unter seiner Herrschaft keinerlei Ungerechtigkeit duldete – über die Geschehnisse informiert worden sei. »Wenn Ihr nicht imstande seid, Hormuz gerecht zu regieren, gibt es da jemanden, der dazu in der Lage wäre. Die Angelegenheit des Sohnes von Shaikh Jawid wurde noch immer nicht geklärt«, sagte Matias de Albuquerque mit drohendem Unterton. Als König Ferug Shah dies hörte, willigte er in die Scheidung von Halima und Niamatullah ein. Die Mönche beschlossen daraufhin, dass Halima und ihr Bruder Daylamitia Hormuz verlassen und nach Goa reisen sollten. In Anbetracht der heiklen Situation mussten sie abwarten, bis Matias de Albuquerque seine Stellung als Kommandant von Hormuz aufgab und nach Goa zurückkehrte. In aller Heimlichkeit wurden die nötigen Vorkehrungen getroffen, damit Halima in der Nacht das Haus von Rais Nuruddin verlassen und bei einem wohlhabenden Portugiesen Unterschlupf finden konnte. Von dort aus würde es leichter sein, sie auf das Kriegsschiff unter portugiesischer Flagge zu bringen, das 27 König Ferug Shah
abfahrtbereit im Hafen lag und, mit Matias de Albuquerque an Bord, Kurs auf Goa nehmen würde. Das gewagte Unterfangen gelang trotz aller Schwierigkeiten, und Halima und ihr Bruder begleiteten Matias de Albuquerque an Bord der Nossa Senhora da Conceição nach Indien. In Goa trat der junge Daylamitia auf Betreiben von Matias de Albuquerque zum Christentum über und nahm den Namen Afonso an, im Gedenken an Afonso de Albuquerque, den Eroberer von Hormuz. Halima nannte sich fortan Filipe, nach dem portugiesischen König Dom Filipe I. Sie heiratete Antonio de Azevedo, dem per Erlass des Königs von Portugal die Leitung der Festung von Hormuz übertragen wurde. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem Bruder stach Halima in See, um nach Hormuz zurückzukehren. Doch die junge Frau sollte niemals dort ankommen: Sie verstarb auf der Reise, und ihr Leichnam wurde dem Meer übergeben, wo er den Fischen als Nahrung diente. Afonso Daylamitia kehrte nach Hormuz zurück. Er wartete ungeduldig darauf, endlich alt genug zu sein, um – wie ihm versprochen worden war – zum Wesir ernannt zu werden und die Aufsicht über die Zolleinnahmen zu erhalten. 28 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
3 Prinz Feroz Shah
Königin Latifa, Gattin von König Ferug Shah und Schwester von Rais Nuruddin, dem Wesir, starb 1591, drei Jahre nach den betrüblichen Vorfällen um Halima, Murad und Niamatullah. Kurze Zeit später kam auch Nuruddin zu Tode. Damit war der Posten des Wesirs von Hormuz vakant. Diese Stellung war Murad Daylamitia versprochen worden, der zum Christentum übergetreten war und den Namen Afonso angenommen hatte. Doch der König von Hormuz stellte eine Bedingung für Daylamitias Ernennung zum Wesir: Er wollte Shah Zinan heiraten, Afonsos Mutter, die von allen SayyidatuNisa genannt wurde. Sie nahm den Antrag des Königs an, bevor ihr Sohn überhaupt Gelegenheit hatte, sich dazu zu äußern. Als neue Ehefrau von König Ferug Shah zog Sayyidatu-Nisa zusammen mit ihrer siebenjährigen Tochter Fatima und ihrem Sohn Afonso Daylamitia, der nun der neue Wesir war, in den Königspalast. Dort lebten sie fortan mit den Söhnen des Königs zusammen: Muhammad Shah war mittlerweile vierzehn Jahre alt, sein Bruder Turan Shah dreizehn. Im Palast verfügten sie über ihren eigenen Flügel. 31
Sayyidatu-Nisa genoss ihr neues, prächtiges Leben in vollen Zügen. Sie saß auf ihrem eigenen Thron, mit ihrer Tochter Fatima an ihrer Seite. Sie hatte nun ihre eigene majlis, trug eine Krone und kleidete sich in herrliche, überaus kostbare Gewänder. Sie empfing die Damen der feinen Gesellschaft von Hormuz und hieß auch die Besucher der Insel willkommen. Ihre exorbitanten Ausgaben bestritt sie insgeheim mit den Einnahmen aus dem Zollamt, das ihrem Sohn Afonso unterstand. Offiziell behauptete sie, ihr Reichtum stamme aus dem Erbe, das ihre beiden verstorbenen Ehemänner, Rais Nuruddin und Rais Murad Daylamitia, ihr hinterlassen hatten. Jeder, der ihr seine Aufwartung machte, erhielt Geschenke von ihr, und so war ihre majlis stets gut besucht. Wenn sie auf ihrem Thron saß, war dieser ganz von ihrem Körper und ihren prächtigen Kleidern ausgefüllt. Sie war eine atemberaubende Erscheinung, und ihre Gäste vermochten den Blick nicht von ihr abzuwenden, solange sie mit ihr in einem Raum waren. Trotz ihrer 33 Jahre sah sie aus wie eine junge Frau. Nach dem Tode Nuruddins hatten zahlreiche Männer um sie geworben und um ihre Hand angehalten. Die kleine Fatima wuchs im Palast auf und wurde von allen nur Bibi Fatima genannt. Ihr Cousin Muhammad Shah wurde ihr liebster Spielgefährte. Sie spielten König und Königin: Sie tat so, als trüge sie die Krone ihrer Mutter, und er, als hätte er die Krone seines Vaters auf dem Haupt. Sie waren ein Herz und eine Seele, und man wurde den Eindruck nicht los, als sei es nur eine Frage der Zeit, bis sie heiraten würden. Anfang des Jahres 1598 wurde offensichtlich, dass König Ferug Shah nun ein Alter erreicht hatte, in dem seine Kräfte stark nachließen. Er war nicht einmal mehr in der Lage, seine majlis 32 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
abzuhalten. Der Wesir, Afonso Daylamitia, der als Sohn der Gattin des Königs ebenfalls im Palast lebte, kümmerte sich hingebungsvoll um ihn. Als König Ferug Shah erkannte, wie es um ihn stand, und er seine Altersschwäche nicht mehr verhehlen konnte, beschloss er, die Krone von Hormuz an seinen Sohn Muhammad Shah weiterzureichen, dessen selige Mutter Latifa die Schwester des verstorbenen Wesirs Nuruddin gewesen war. Um den nahenden Machtwechsel so einfach wie möglich zu gestalten, schrieb König Ferug Shah einen Brief an den Vizekönig von Indien, Dom Francisco da Gama. In diesem Brief vom 14. April 1598 heißt es: Ich danke Euer Exzellenz, dass Ihr Euch an meinen Sohn, Prinz Muhammad Shah, erinnert. Ich bin überzeugt, dass er ein Mann ist, der alles tut, was nötig ist, um ein guter Vasall zu sein. Ich vertraue ihm voll und ganz und bitte Euer Exzellenz inständig, seiner Ernennung zu meinem Nachfolger, gemäß dem Willen meines Volkes, zuzustimmen. Auch die portugiesischen Einwohner der Stadt schätzen ihn sehr. Er verfügt über alle Eigenschaften, die für dieses Amt vonnöten sind. Was mich betrifft, so bin ich zu alt und zu schwach. Ich wünsche mir, den Rest meines Lebens in Frieden zu verbringen und mich ganz der Verehrung Allahs widmen zu können. Daher bitte ich Euer Exzellenz, meiner Bitte nachzukommen. Möge Allah Euch behüten und Euch ein langes, gesundes Leben schenken. Verfasst am 14. April 1598 in Hormuz 33 Pr inz Feroz Shah
Zwei Tage später, am 16. April 1598, schrieb allerdings auch Feroz Shah einen Brief an den indischen Vizekönig. Darin heißt es: Ich bitte Euer Exzellenz um Erlaubnis, Euch über die hiesigen Staatsangelegenheiten in Kenntnis zu setzen. Euer Gesandter hat mit eigenen Augen gesehen, was hier vor sich geht. Vielleicht sieht er die Dinge sogar klarer, als ich sie zu beschreiben vermag, und kann die Situation besser einschätzen. Ich zweifele nicht an der Gerechtigkeit Eurer Exzellenz und bin mir Eures Vertrauens in mich sicher, als wäret Ihr mein Vater. Ich bete zu Allah, er möge Euch ein langes Leben schenken, auf dass der Staat gedeihe und Euer Exzellenz viele Siege erringen möge. Einzig Allah ist dazu imstande … Hormuz, den 16. April 1598 Euer Prinz von Hormuz Feroz Shah Dadurch, dass er den Brief mit »Prinz von Hormuz« unterzeichnete, widersetzte Feroz Shah sich eindeutig dem Willen seines Vaters, König Ferug Shah. Ein dritter Brief an den Vizekönig von Indien wurde Ende April 1598 von Turan Shah verfasst, dem jüngeren Bruder von Muhammad Shah. Dieses Schreiben traf nach der Entscheidung Muhammad Shahs ein, auf die Thronnachfolge zu verzichten. Es lautete: 34 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Hormuz, … April 1598 Von: Prinz Turan Shah An: Dom Francisco da Gama, Vizekönig von Indien Exzellenz, Dem Brief, den Ihr meinem Vater geschickt hattet, entnehme ich, dass Ihr bei bester Gesundheit seid. Möge Allah zum Wohle des Staates stets seine schützende Hand über Euch halten und mich damit zu einem glücklichen Mann machen. Eurem Brief habe ich entnommen, dass Ihr meinem Vater als Ratgeber zur Seite gestanden habt, da er sehr ruhebedürftig war und nicht in der Verfassung, die Staatsgeschäfte zu führen, die derzeit allzu schwer auf seinen Schultern lasten. Doch mit Eurer Unterstützung werden die Dinge einfacher und alles wird besser geregelt sein. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Euer Exzellenz daran zu erinnern, dass Ihr mir erlaubt hattet, Euch ein wenig von mir zu erzählen: Ich bin der eheliche Sohn von König Ferug Shah und Königin Latifa. Ich bin ihr jüngster Sohn. Bevor mein Vater meine Mutter Latifa, die Schwester von Rais Nuruddin, zur Frau nahm, war er mit Nuruddin übereingekommen, dass im Falle der Geburt eines Sohnes dieser den Thron dieses Königreiches erben solle. Diese Vereinbarung wurde auch in offiziellen Dokumenten festgehalten. Sowohl Muhammad Shah bin Abunasser als auch ich sind legitime Söhne des Königs und aus einer Ehe hervorgegangen, die im Einklang mit dem Gesetz geschlossen wurde. In seiner unendlichen Güte hat mein Vater mir die Ehre zuteilwerden lassen, meine Position im Staat vermittels eines Erlas35 Pr inz Feroz Shah
ses festzuschreiben. Alles worum ich bitte, ist die Gnade und Hilfe vonseiten Eurer Exzellenz, indem Ihr mir bestätigt, was mir von Rechts wegen zusteht. Ich bin mir ganz sicher, dass Ihr dies für mich tun werdet, Euer Exzellenz. Ich beabsichtige, zur Monsunzeit jemanden zu Euer Exzellenz zu entsenden, der Euch mein Anliegen persönlich vortragen wird. Diese Person wird auch die erwähnten Dokumente mitbringen, damit diese von Euch gutgeheißen werden können, denn mein Vater ist schon zu alt, als dass man ihm noch eine verantwortungsvolle Aufgabe zumuten könnte. Alles liegt in Allahs Hand, und möglicherweise überwerfe ich mich später mit meinen Brüdern. Aus diesem Grunde habe ich mir erlaubt, Euer Exzellenz diese Zeilen zu schreiben und Euch zu bitten, mir Eure Bestätigung zukommen zu lassen. Ich bleibe für immer Euer untertänigster Diener. Exzellenz, etc. (…) ... April 1598 Prinz Turan Shah * Dom Antonio de Lima wurde zum Befehlshaber der Insel Hormuz ernannt. Als er in Hormuz eintraf, stellte er fest, dass der Hauptgrund für die instabile Situation der Konflikt zwischen Feroz Shah und Turan Shah um die Thronfolge war. Beide waren Söhne von König Ferug Shah. Ihr Konflikt hatte schwerwiegende Auswirkungen auf Hormuz. 36 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Dom Antonio de Lima war nicht viel Zeit in Hormuz vergönnt. Er starb am 28. Dezember 1598 an den Folgen einer Krankheit, wie es heißt. Sein Nachfolger war Dom Luis da Gama, der von seinem Bruder Dom Francisco da Gama, dem Vizekönig von Indien, zum Militärkommandanten der Festung von Hormuz ernannt wurde. Anfang des Jahres 1599 ließ der Vizekönig von Indien dem Militärkommandanten von Hormuz eine Nachricht zukommen, da der neue Festungskommandant noch nicht eingetroffen war. Er teilte ihm mit, dass, falls der Konflikt um die Nachfolge des Königs von Hormuz zur Sprache käme, er die Staatsführung dem ältesten Sohn von König Ferug Shah anvertrauen solle. Der Vizekönig von Indien brachte klar zum Ausdruck, dass diese Regelung so lange gelte, bis er, Dom Francisco da Gama, in dieser Angelegenheit eine endgültige und formgerechte Entscheidung träfe. Der Vizekönig von Indien verfasste außerdem ein Schreiben an den Wesir von Hormuz, Afonso Daylamitia, in dem er ihn anwies, seine Schwester Fatima dem künftigen König, Feroz Shah, zur Frau zu geben. Für den Fall, dass seine Schwester und seine Mutter ablehnend reagierten, solle er beruhigend auf sie einwirken und versuchen, die Lage zu entschärfen. * Die beiden Briefe in der Hand, verließ Afonso Daylamitia Hals über Kopf das Zollamt und eilte zum Königspalast. Dort angekommen, suchte er sogleich seine Mutter auf, die in ihrer majlis 37 Pr inz Feroz Shah
einige Besucherinnen empfing. Er rief sie an eine Tür, die zu den Wohngemächern führte, und las ihr mit gedämpfter Stimme den Brief an den Militärkommandanten von Hormuz vor, in dem davon die Rede war, den Thron an Feroz Shah zu übergeben. Entsetzt kreischte Sayyidatu-Nisa: »Was für eine Katastrophe! Was für eine Katastrophe!« Als ihre Besucherinnen die Schreie hörten, liefen sie neugierig zu der Tür, an der Sayyidatu-Nisa und ihr Sohn standen. Während die Frauen an der Tür lauschten, las Afonso Daylamitia ihr leise den anderen Brief vor. Nun war Sayyidatu-Nisa völlig außer sich. Fassungslos fing sie an zu schreien: »Dieser Sklave soll meine Tochter heiraten?! Ein unwürdiger Palastsklave soll der Ehemann meiner Tochter werden, die eine Nachfahrin Khosraus ist, meines ruhmreichen Ahnen?! Wie ist das möglich? Ihr Vater Nuruddin war der direkte Nachfahre Al-Hassans, Sohn des Imam Ali und Fatimas, der Tochter von Mohammed, dem Propheten Allahs! Ich habe meine Tochter nach ihr benannt! Wie könnte die Nachfahrin des Propheten Mohammed einen Sklaven heiraten?! Dazu wird es nicht kommen, niemals!« Dann eilten die beiden zu König Ferug Shah, um ihm von den Briefen zu berichten. Unterdessen verließen die Frauen aus der majlis, die alles mitangehört hatten, den Palast und liefen in die Stadt. Innerhalb kürzester Zeit waren die Straßen von Hormuz voller verschleierter Frauen, die von Haus zu Haus huschten, die Türen öffneten und schlossen sich, und die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer. 38 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Bald wusste die ganze Stadt, was geschehen war. Innerhalb des Palastes spitzte sich der Streit zwischen den Brüdern derart zu, dass sie sogar mit Fäusten aufeinander losgingen. Daraufhin reiste Prinz Turan Shah nach Goa, um sich beim Vizekönig von Indien zu beschweren. Muhammad Shah besuchte in der Zwischenzeit seinen Onkel, Rais Badruddin, den Obersten Richter von Magestan2. * Die Nachricht erreichte Goa, und der Vizekönig von Indien erfuhr, dass sich die Lage in Hormuz dramatisch verschlechtert hatte. Alle Festungen, die dem König von Hormuz unterstanden, liefen von nun an Gefahr, von den Arabern der Arabischen Halbinsel und von den Persern der angrenzenden Gebiete angegriffen zu werden. Diese Situation konnte unter Umständen verheerende Auswirkungen auf Indien haben, das vom König von Portugal regiert wurde. Der Militärkommandant von Hormuz informierte den Vizekönig von Indien, welcher seinerseits den Rat der Oberbefehlshaber in Kenntnis setzte. Sie analysierten die Situation und kamen zu folgendem Ergebnis: Der Militärkommandant von Hormuz muss den König von Hormuz zwingen, die Festungen mit allen nötigen Lebensmittel- und sonstigen Vorräten auszustatten. Der König sollte permanent 39 Pr inz Feroz Shah 2 Dieses Land ist heute unter dem Namen Makran bekannt, einer in Indien und Pakistan angesiedelten Region, die an den Golf von Oman und den Indischen Ozean grenzt. [Anm. d. Übers.]
und engmaschig überwacht werden. Sein gesamter Besitz muss beschlagnahmt werden, um sicherzustellen, dass die Festungen die Versorgung erhalten, die sie benötigen. Darüber hinaus müssen alle laufenden Angelegenheiten und Aufgaben wie üblich fortgeführt werden. Sein Königreich darf man ihm jedoch nicht wegnehmen – einen derartigen Schritt könnten wir nicht ausreichend begründen oder rechtfertigen. Der Vizekönig von Indien soll dem König von Hormuz schreiben und ihn überzeugen, seinen ältesten Sohn als seinen Nachfolger zu akzeptieren. Außerdem soll der König versuchen, seinen Sohn mit der Tochter des Wesirs zu verheiraten, da dies dazu beitragen könnte, die Situation zu entschärfen und die Dinge auf friedliche Art zu regeln. Unabhängig davon, ob diese Hochzeit stattfindet oder nicht, muss der König von Hormuz die Regierung seines Landes in die Hände seines Sohnes legen, da dieser über das nötige Geschick und die erforderlichen Fähigkeiten verfügt. Der Militärkommandant muss dem Sohn die Herrschaft über das Land übertragen, und der Vater (der König von Hormuz) muss seinen Rücktritt bekanntgeben. In Abschrift an das für die Umsetzung zuständige Militärkommando in Hormuz In Abschrift an den König von Hormuz In Abschrift an Wesir Afonso Daylamitia 40 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Folglich bestieg Feroz Shah den Thron. Sein Vater, Ferug Shah, verkündete, dass sein ältester Sohn ihm als König von Hormuz nachfolgen und bis zu seinem (des Königs) Tod als sein Stellvertreter fungieren werde. Feroz Shah bemächtigte sich aller Befugnisse im Land – mit Ausnahme des Zollamtes und dessen Einnahmen. 41 Pr inz Feroz Shah
4 Bibi Fatima
Anfang des Jahres 1601 lag die gesamte Regierung von Hormuz in Feroz Shahs Händen. Aber es gab eine Sache, die sich seiner Kontrolle entzog: Seine Ehe mit Bibi Fatima entwickelte sich zu einem erbitterten Kampf zwischen ihm und Sayyidatu-Nisa. Als Feroz Shah eines Tages nach einem Treffen mit dem Militärkommandanten die portugiesische Festung verließ, sah er, dass in dem Gebäude gegenüber dem Eingang zum Fort die Tür offen stand. Es war das Haus des Obersten Richters von Magestan, Rais Badruddin. Feroz Shah ging hinüber, klopfte an und wurde von Rais Badruddin empfangen, der ihn in seine majlis führte. »Die Portugiesen stehen unter großem Druck. Ihre Macht schwindet, und die arabischen Stämme greifen unsere Gebiete an der Golfküste und an der Küste von Oman an«, sagte Feroz Shah, »und auf der persischen Seite werden unsere Posten von persischen Streitkräften bedroht. – Wie ist die Lage bei Euch in Magestan?«, wollte der König von Rais Badruddin wissen. 45
»Euer Hoheit kennt die Bergregion unweit der persischen Küste, gegenüber von Hormuz. Sie erstreckt sich bis zur Grenze von Kerman, wo sich die magestanische Festung Tezreg befindet. Durch diese Region verläuft die einzige Straße, die nach Kerman und in die nördlichen Gebiete führt. Die meisten Einnahmen werden durch die im Zusammenhang mit den Karawanen erbrachten Dienstleistungen und die darauf erhobenen Abgaben erwirtschaftet. Geriete diese Region in die falschen Hände, gingen der Regierung von Hormuz diese Einkünfte verloren. Vor allem bin ich hierhergekommen, um Euch zu bitten, die dortigen Festungen und Türme zu verstärken und sie mit Männern und Waffen auszurüsten«, sagte Rais Badruddin. »Werden wir von Lar bedroht?«, fragte Feroz Shah. »Lar selbst wird von persischen Kräften bedroht«, antwortete Badruddin. »Aber sie werden es nicht wagen, Magestan zu überfallen, nicht nach der unvergesslichen Lektion, die wir ihnen erteilt haben!« »Ihr wart dabei, als Magestan zurückerobert wurde. Erzählt mir, wie das vonstattenging, damit wir die nötigen Vorkehrungen treffen können«, bat Feroz Shah. Also begann Rais Badruddin, Feroz Shah in allen Einzelheiten zu erzählen, was sich ereignet hatte: »Ich war zusammen mit meinem Bruder, Wesir Nuruddin, und Eurem Vater bei den portugiesischen Truppen. Nachdem der älteste Sohn des Königs von Lar diese Region 1582 besetzt hatte, machte die Nachricht vom Tod seines Vaters die 46 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Runde und es hieß, sein jüngerer Bruder habe die Macht in Lar an sich gerissen. Er kehrte daraufhin umgehend mit seinen Eroberungstruppen nach Lar zurück, um diesem die Herrschaft wieder zu entreißen, ließ aber jeweils eine Garnison in der Festung von Tezreg und in der Festung von Shemel zurück. Die portugiesischen Streitkräfte, die der König von Hormuz, Ferug Shah, begleitete, schafften es, die Festung von Tezreg wieder einzunehmen, scheiterten aber an der Rückeroberung von Shemel. Sie belagerten die Festung zwar über einen langen Zeitraum, konnten die Insassen aber nicht zur Aufgabe zwingen. Wir haben erfahren, dass sich Spione aus Lar unbemerkt unter die Bevölkerung von Shemel gemischt und die Festung mit Lebensmitteln versorgt hatten. Das gelang mithilfe von Körben, die an langen Seilen von der Festung aus herabgelassen und dann mit Nahrungsmitteln gefüllt wurden. Da die Festung von hohen Palmen umgeben war, waren diese Aktivitäten von niemandem bemerkt worden. Schließlich erklärte sich eines der örtlichen Stammesoberhäupter bereit, zwischen den beiden Kriegsparteien zu vermitteln. Er schlug dem König von Hormuz vor, die Larer sollten ihre Waffen abgeben und die Festung unter der Bedingung verlassen, dass der König ihnen freies Geleit garantiere, und zwar von dem Moment an, in dem sie die Festung verließen, bis zum Erreichen der Kreuzung, von wo aus der Weg nach Lar führte. Dies wurde so beschlossen. Doch als die Larer das Tal erreichten, wo die Straße von Shemel ihren Anfang nahm, wurden sie von Leuten aus Shemel angegriffen und bis zum letzten Mann umgebracht. 47 Bi b i Fat ima
Als der Stammesführer, der sich als Vermittler betätigt hatte, davon erfuhr, war er außer sich vor Wut. Er sprang auf sein Pferd und galoppierte zum portugiesischen Lager, das auf dem Plateau unweit der Festung aufgeschlagen worden war. Dabei brüllte er: »Gonçalo3, Jerónimo4!« – so hießen die portugiesischen Offiziere, die die Verantwortung für diesen Feldzug trugen. Zornig preschte er hoch zu Ross in das Zelt des Kommandanten und kam pfeilschnell auf der anderen Seite wieder heraus, wo die Zelte der Soldaten standen. Aber sobald die Soldaten ihn erblickten, gingen sie mit ihren Schwertern auf ihn los und hieben ihn in Stücke. Der König war erbost über das, was die Einwohner Shemels getan hatten. Diese verteidigten ihre Tat damit, dass die Soldaten von Lar ihre Ehre verletzt hätten, als sie nach Shemel kamen.« Dann wechselte Rais Badruddin das Thema und fuhr fort: »Ich bin gekommen, um Euren Vater, den König, darüber zu informieren, dass sein Sohn Muhammad Shah bei mir um die Hand meiner Tochter angehalten hat. Ich habe Muhammad Shah erklärt, dass ich die Angelegenheit zuerst mit Eurem Vater, dem König, besprechen wolle. Würdet Ihr mir erlauben, Eurem Vater einen Besuch abzustatten?« »Auch ich möchte Euch um etwas bitten, nämlich um Eure Erlaubnis, Eure Nichte Bibi Fatima heiraten zu dürfen wie es 48 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs 3 Dom Gonçalo de Menezes war der Festungskommandant von Hormuz. 4 Dom Jerónimo de Mascarenhas war der befehlshabende Offizier.
vom Vizekönig von Indien befohlen wurde«, sagte Feroz Shah. »Ich habe schon davon gehört«, antwortete Rais Badruddin. »Ich wüsste nicht, was gegen Euren Wunsch spräche, aber ich muss zunächst die Zustimmung des Königs und seiner Tochter einholen.« »So lasst uns denn zum Palast gehen«, schlug Feroz Shah vor. Im Königspalast verblieben waren der alte König Ferug Shah mit seiner Frau Sayyidatu-Nisa, ihrer Tochter Bibi Fatima und ihrem Sohn, Wesir Afonso Daylamitia. In einem Teil des Palasts in der Nähe der Küche waren außerdem einige Bedienstete untergebracht. Feroz Shah und Rais Badruddin kamen am Palast an und fragten Sayyidatu-Nisa, ob sie König Ferug Shah sehen könnten. Sie erteilte ihnen die Erlaubnis. Als sie zum König vorgelassen wurden, fragte ihn Rais Badruddin nach seinem Befinden und erzählte ihm dann, dass Muhammad Shah um die Hand seiner Tochter angehalten hatte. Ferug Shah gab sein Einverständnis. Dann sprach Rais Badruddin mit dem König über das Ansinnen Feroz Shahs, Bibi Fatima zu heiraten. Der König sagte daraufhin, Rais Badruddin solle Bibi Fatima selbst fragen, ob sie Feroz’ Antrag annehmen wolle. Also ging Rais Badruddin hinaus, um mit Bibi Fatima persönlich zu sprechen. Er rief sie herbei und erzählte ihr von Feroz’ Wunsch, sie zu heiraten. Bibi Fatima blieb die Antwort schuldig: Weder willigte sie ein noch lehnte sie den Antrag ab. Stattdessen 49 Bi b i Fat ima
zog sie sich zurück, um ihrer Mutter von dem Heiratsantrag zu berichten. Rais Badruddin kehrte zum König zurück, der ihn fragte, wie Bibi Fatima reagiert habe. »Sie hat nichts gesagt«, antwortete Badruddin. »Wer nichts sagt, ist einverstanden«, entschied der König. »Sie sollen heiraten!« Bibi Fatima wurde also dem ältesten Sohn des Königs von Hormuz, Feroz Shah, zur Frau gegeben. Zwar war es üblich, dass der Sohn dem Vater auf den Thron folgte, aber Feroz Shah war der Sohn einer Sklavin, weshalb seine Rechte, im Vergleich zu denen der anderen Königsöhne, besonderer Natur waren. Die ehelichen Nachkommen besaßen alles, was ihr Vater besessen hatte – also auch Feroz’ Mutter, denn ihr Vater hatte der Sklavin nie die Freiheit geschenkt. Gleichzeitig war Bibi Fatima die Tochter des Schwagers des Königs und die Schwester des einflussreichen Wesirs, in dessen Händen alle Regierungsbefugnisse lagen, insbesondere die richterliche Gewalt und die oberste Finanzkontrolle. Feroz Shah bestand darauf, die Ehe mit Bibi Fatima zu vollziehen, die jedoch die Sache immer wieder auf später verschob, unter dem Vorwand, unpässlich zu sein. Schließlich wurde entschieden, sie müsse innerhalb einer Woche bei ihrem Mann einziehen. Bibi Fatima reagierte schnell. Über den jungen Mann, der ihr Portugiesisch-Unterricht erteilte, ließ sie dem örtlichen Priester mehrere Nachrichten zukommen. Darin flehte sie ihn an, ihr zu sagen, was sie tun könne. Außerdem berichtete sie dem Militärkommandanten von ihrer Lage. Ihr war vollkommen bewusst, welche Risiken sie einging, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. 50 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs
Und sie wusste auch, dass der Priester alles in seiner Macht Stehende tun würde, um ihr zu helfen. Für ihre Korrespondenz mit dem Militärkommandanten griff sie wieder auf die Dienste des jungen Portugiesisch-Lehrers zurück. Sie schrieb, sie fühle sich im Stich gelassen, und betonte, alle Verantwortung liege auf den Schultern des Kommandan- ten – ihr Leben und ihr Seelenheil seien in Gefahr. Sie beschrieb ihre Lage als verzweifelt und machte deutlich, wie wichtig es sei, dass ihr Anliegen als das einer muslimischen Frau, die um Hilfe bittet, Gehör fände. Sie sagte, angesichts ihrer kritischen Situation brauche es wirklich gute Gründe, nicht das Risiko auf sich zu nehmen, ihr zu helfen. Der Militärkommandant antwortete, dass er einen Beweis für die Wahrhaftigkeit ihrer Behauptungen benötige. Er sagte, er werde sich zu einer bestimmten Stunde an einem Ort auf dem freien Feld außerhalb der Stadt aufhalten und brauche ihre Bestätigung, wenn er sich auf den Weg mache. Er sagte, er könne ihr helfen, ihr Ziel zu erreichen, wenn sie das Gesagte bekräftigen könne. Als Beweis solle sie ihm ihr Kleid schicken. Bibi Fatima schickte ihm eines ihrer seidenen Baju-Gewän- der, ein für diese Region typisches, hemdähnliches Kleidungsstück. Es war klar, dass die Antwort auf ein so gerechtfertigtes Hilfeersuchen keinen Aufschub duldete. Bibi Fatima lebte mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und einigen anderen Personen in Gemächern des Königspalasts. Man kann sich leicht vorstellen, welche Probleme für jemanden wie sie, eine Bewohnerin des königlichen Palastes, entstehen würden, sollten ihre Pläne entdeckt werden. 51 Bi b i Fat ima
Zunächst schob sie vor, unpässlich zu sein, und gab an, Ruhe zu benötigen, um sich von einer Krankheit zu erholen, bei der es sich um etwas ganz anderes handelte, als ihre Mutter vermutete. Der Militärkommandant rief den befehlshabenden Offizier der Flotte, Alvaro de Avelar, zu sich und teilte ihm mit, er müsse einige Straftäter an einem Ort gefangen halten. De Avelar solle sich dort mit 50 Soldaten einfinden, sich bereithalten und gegebenenfalls einschreiten, falls sich etwas ereignete. Die gleiche Geschichte tischte er dem hâjib5 auf und bat ihn, an einem anderen Ort zu warten. Er bestellte auch Simao Ferreira, den Dolmetscher, zu sich, einen Mann, der über großen Einfluss verfügte und bei allen Bevölkerungsgruppen höchst angesehen war, und bat ihn, an einem dritten Ort zu warten. Er veranstaltete ein geheimes Bankett für ihn und instruierte ihn dann, das Haus des Wesirs im Auge zu behalten, insbesondere die Tür, aus der Fatima höchstwahrscheinlich kommen werde. Wenn nötig, solle er ihr die Tür öffnen. Sie besprachen die Lage und einigten sich darauf, Simao Ferreira solle im Auftrag des Militärkommandanten zu Bibi Fatimas Bruder, Wesir Afonso Daylamitia, gehen und ihn anweisen, mit einigen persischen Händlern, die gerade angekommen waren, Verhandlungen zu führen und auch mit anderen Personen, die vom hajj6 zurückkehrten. Damit sollte erreicht werden, dass die Hafentore offen blieben. Der Militärkommandant ermahnte Simao Ferreira, dass, wenn es zu Lärm oder Unruhen käme, er 52 Bi b i Fat ima und di e Söhne des Königs 5 Der hâjib war ein einflussreicher Beamter am muslimischen Königshof, vergleichbar mit einem Kammerherrn. [Anm. d. Übers.] 6 Hajj (gesprochen »Hadsch«) bezeichnet die islamische Pilgerfahrt nach Mekka. [Anm. d. Übers.]
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